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Auswahl von Erhebungsorten und Gewährspersonen

Bei der Orts- und Informantenwahl müssen einige wichtige Punkte bedacht und vorab möglichst einheitliche Auswahlkriterien definiert werden, um durch die Kontrolle bzw. Konstanthaltung möglichst vieler Faktoren vergleichbare Bedingungen zu schaffen und durch die gezielte Manipulation einzelner Variablen eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse zu gewährleisten.

Strebt man (basis-)dialektale Sprachlagen an, so sind diese am ehesten in Orten mit ländlichen/dörflichen Strukturen zu erwarten, weshalb für potenzielle Erhebungsorte eine Größe zwischen 500 und 1.500 Einwohnern ideal ist. Unterhalb dieser Einwohnerzahl ist zu befürchten, dass nicht genügend dialektkompetente Gewährspersonen zur Verfügung stehen, bei einer größeren Einwohnerzahl treten eventuell keine basisdialektalen Strukturen mehr auf, sondern lediglich regiolektal bis standardsprachlich geprägte Varietäten (vgl. Lenz 2003). Weiterhin kann es sinnvoll und hilfreich sein – allgemein zu Vergleichszwecken sowie im Besonderen zur Erleichterung der Vorabrecherche oder auch der Einlautung der sprachlichen Stimuli –, gezielt Erhebungsorte zu wählen, zu denen bereits Wenkerbögen, Sprachproben/Tonaufnahmen und/oder (syntaxrelevante) dialektologische Literatur existieren. 

Die Auswahl der für den jeweiligen Ortsdialekt Auskunft gebenden Gewährspersonen muss mit größter Sorgfalt geschehen, da davon die Qualität der erhobenen Daten wesentlich abhängt. Die traditionelle Dialektologie wählte als Informant_innen meist sog. NORMs. Dieses Akronym steht für non-mobile old rural male: Nicht oder wenig mobile Sprecher_innen wurden gegenüber Pendler_innen und Personen, die längere Zeit außerhalb des Erhebungsortes gelebt haben, bevorzugt, da Letztere mehr sprachlichen Einflüssen ausgesetzt sind, die den Dialekt beeinflussen (regionale Umgangssprachen, Standardsprache). Ortsfestigkeit – also die Erfordernis, am Ort aufgewachsen zu sein und gelebt zu haben – ist in jedem Fall ein sehr wichtiges Kriterium, weil Dialekt ja ortsgebundene Sprache ist. Und da der Spracherwerb ganz entscheidend von den Eltern geprägt ist (die wiederum von der Generation der Großeltern den Dialekt erworben haben), sollte außerdem mindestens ein Elternteil ebenfalls aus dem Erhebungsort kommen. Ältere Sprecher_innen wurden jüngeren vorgezogen, weil bei der jüngeren Generation die Mobilität immer mehr zunimmt und damit auch der Einfluss anderer Varietäten bzw. weil die jüngere Generation unter Umständen überhaupt keinen Dialekt mehr (aktiv) erworben hat. Das hängt aber letztlich entscheidend vom Untersuchungsgebiet ab, da es einerseits Sprachräume gibt, in denen die Dialekte stark abgebaut wurden bzw. werden (wie etwa in Hessen, im niederdeutschen Raum oder in großstädtischen Ballungsgebieten), andererseits dialektloyalere Gebiete (vor allem im bairischen und alemannischen Sprachraum). Während es bei fortgeschrittenem Dialektabbau sinnvoll ist, die Altersgruppe der Gewährspersonen auf die älteste Generation einzuschränken (in SyHD z. B. ab 65 Jahren), weil erwartet werden kann, dass nur noch diese Altersschicht (Basis-)Dialekt spricht, kann in dialektloyaleren Gegenden durchaus noch ein intergenerationeller Vergleich angestrebt werden, indem man mit einer älteren und einer jüngeren Generation beispielsweise den Dialektgebrauch zweier verschiedener Altersgruppen erhebt (einer Gruppe mit potenziell konservativerem und einer mit potenziell progressiverem Sprachverhalten) und anschließend einander gegenüberstellt. Darüber hinaus wurden und werden für Dialekterhebungen Informant_innen aus ländlichen Gegenden gegenüber solchen aus urbanen Räumen bevorzugt. Früher wurden in der Dialektologie außerdem männliche gegenüber weiblichen Gewährspersonen präferiert. Das liegt daran, dass Männer oft weniger mobil waren, weil sie beispielsweise eine Landwirtschaft betrieben, wohingegen Frauen einheirateten und meist zum Mann auf den Hof zogen. In modernen Forschungsprojekten hat man mit der Befragung von NORFs (= non-mobile old rural female) aber zum Teil sogar bessere Erfahrungen gemacht, da Frauen häufig kommunikativer sind. Weitere Auswahlkriterien für die Erfassung möglichst tiefer Dialektschichten stellen der Bildungsgrad und der ausgeübte Beruf der Gewährsperson dar. Während manuell-landwirtschaftliche Tätigkeiten oftmals mit einem höheren Grad an Dialektgebrauch und -kompetenz korrelieren, bewirken ein Hochschulstudium und kommunikationsintensive Berufe meist größere Mobilität und die regelmäßige Verwendung höherer Sprachlagen mit einem weiteren Kommunikationsradius, was die Gebrauchsfrequenz und schließlich auch die Strukturen des Dialekts beeinflusst. 

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie man überhaupt mit potenziellen Informant_innen, die für ihren Dialekt Auskunft geben, in Kontakt kommen kann. Die Akquisearbeit ist ein nicht zu unterschätzender Zeitfaktor, insbesondere dann, wenn es sich um ein groß angelegtes Projekt handelt und man mehrere Gewährspersonen pro Ortspunkt befragen möchte, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten (mindestens 3, im Idealfall aber zwischen 5 und 8 wie in SyHD). Hier empfiehlt es sich, den Weg über lokale Kontaktpersonen (Multiplikatoren) zu gehen und sich zunächst an Ortsvorsteher oder Bürgermeister sowie Vorsitzende von (Heimat-)Vereinen zu wenden, die über gute Ortskenntnisse verfügen und potenzielle Kandidat_innen auf der Basis vorgegebener Kriterien (Alter, Herkunft und Ortsfestigkeit, Ausbildung/Beruf, Mobilität etc.) benennen und vielleicht sogar schon vorbereitend kontaktieren können. Auch mit gewissen Fluktuationen im Informantenbestand insbesondere im Laufe mehrerer Erhebungsrunden ist zu rechnen, sodass Nach- bzw. Neuakquisen nötig werden können.